K-Frage zur Abgeordnetenhauswahl 2026: Rote Ratlosigkeit
Zur Berlin-Wahl 2026 haben im Mitte-links-Lager bislang nur die Grünen die Kandidatenfrage geklärt. Bei der SPD droht gar ein parteiinterner Qual-O-Mat.

Die Wirtschaftssenatorin hatte kurz zuvor öffentlich gefordert, die Frage der Spitzenkandidatur für die im kommenden Jahr anstehende Abgeordnetenhauswahl nicht den Parteifunktionären zu überlassen. Stattdessen solle die SPD-Basis abstimmen. „Jede Kandidatur, egal wer es am Ende macht, braucht die breite Unterstützung in der Partei“, sagte Giffey. Und machte dann auch deutlich, wen sie im Fall einer Mitgliederbefragung ins Rennen schicken würde: sich selbst.
Giffeys Kalkül ist unschwer zu entschlüsseln. Sie weiß, dass der SPD-Landesvorstand keinerlei Interesse daran zeigt, die ehemalige Regierende Bürgermeisterin und Spitzenkandidatin bei den Wahlen 2021 und 2023 erneut aufs Schild zu heben. An der konservativeren Parteibasis könnte das anders aussehen für die Frau vom konservativen Flügel. Glaubt zumindest Giffey.
Ob sie damit richtig liegt, sei dahingestellt. Auch an der Basis haben viele in Erinnerung, dass Franziska Giffey vor mehr als zwei Jahren eine folgenschwere Richtungsentscheidung für die SPD traf: Obwohl nach der Wiederholungswahl 2023 eine Fortsetzung der Koalition mit Grünen und Linken möglich gewesen wäre, räumte sie den Chefinnensessel im Roten Rathaus und koalierte mit der CDU als Wahlsiegerin.
Giffeys gescheiterte Strategie
Auf die Frage nach dem Warum antwortete Giffey damals: „Weil ich weiter denke, als jetzt ein Amt zu bekommen und in drei Jahren eine SPD zu sehen, die in einer noch schwierigeren Lage ist als jetzt.“
Und heute? Gut 14 Monate vor der nächsten Wahl zum Landesparlament steht die SPD in Berlin in Umfragen bei 14 Prozent. Das sind noch mal viereinhalb Punkte unter dem für die einstige „Berlin-Partei“ ohnehin schon katastrophalen Ergebnis von 2023. Giffeys Strategie, als Juniorpartnerin in einem Zweierbündnis auf Stabilität zu setzen, statt die zuweilen zerstrittene rot-grün-rote Koalition weiter anzuführen, ist also krachend gescheitert.
Giffey erklärte jetzt zwar, dass die SPD noch über ein Jahr Zeit habe, um sich bis zur Wahl am 20. September 2026 zu berappeln: „Da ist noch alles möglich.“ Stimmt auch, nur eben nicht mit Giffey, heißt es aus führenden Parteikreisen.
Wer Giffey wählt, wählt CDU. So oder so ähnlich war es 2023 zu lesen. So oder so ähnlich wird auch Raed Saleh argumentieren, wenn es zum innerparteilichen Schwur kommt. Der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus verhehlt nicht, dass auch er gern ins Rote Rathaus ziehen will. Entsprechend bedient er seit Längerem das linke Gewissen seiner Partei, schlägt einen neuen Mietendeckel vor, hat sein Herz für das Vergesellschaftungsgesetz entdeckt.
Vergessen und vorbei, dass es neben Giffey auch Saleh war, der sich seinerzeit als „Totengräber von Rot-Grün-Rot“ hervortat. CDU-Fraktionschef Dirk Stettner bescheinigte dem Koalitionspartner mit Blick auf Salehs Vergesellschaftungs-Allüren inzwischen sogar, „auf radikalem Linksaußenkurs“ zu sein. Saleh dürfte das zupasskommen.
Kiziltepe unter Beschuss
Gleiches gilt für die seit einiger Zeit in den Medien zu beobachtende Tendenz, eine dritte mögliche SPD-Kandidatin aus dem inner circle abzuschreiben. Die Rede ist von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe. Saleh hatte die Kreuzberger Parteilinke 2023 von einem gut dotierten Posten im Bund nach Berlin zurückgeholt. Lange wurde sie als seine Vertraute bezeichnet, die als solche zur Spitzenkandidatin aufgebaut werden solle.
Von B.Z. bis Tagesspiegel heißt es nun unisono, die Senatorin und SPD-Landesvize sei nicht zu höheren Weihen berufen, sie habe sich durch ihre Initiativen selbst ins Aus gestellt – zuletzt im Zusammenhang mit ihrem Versuch, die Stelle einer Ansprechperson des Landes gegen antimuslimischen Rassismus einzurichten. In der entscheidenden Senatssitzung Anfang Juli schaltete die CDU auf stur und ließ Kiziltepe auflaufen.
Dabei kam die Initiative nicht im Geringsten überraschend. Schon im November 2024 wurde sie von der SPD angekündigt. Genauer: von Fraktionschef Raed Saleh höchstpersönlich. Kiziltepe zeigte sich damals offen für Salehs Vorschlag und erklärte, sie werde ihn prüfen. Jetzt wollte sie ihn umsetzen.
Doch wenn Kiziltepe geglaubt haben sollte, der Fraktionschef würde ihr im aktuellen Streit mit der CDU den Rücken stärken, sah sie sich getäuscht. Der sonst omnipräsente Saleh schwieg zu den Angriffen. Der Vertrautenstatus hat bei ihm keine lange Halbwertszeit. Was zählt: eine Konkurrentin weniger.
Sozialdemokratische Exenjagd
Ob es ihm nutzt? Aus dem SPD-Landesvorstand ist zu hören, dass man auf einen Spitzenkandidaten Raed Saleh gut verzichten könne. Die Mahnung der Vorsitzenden, die eigenen Ambitionen jetzt bitte mal zurückzustellen, bezog sich demnach auch auf den umtriebigen Strippenzieher aus Spandau.
Die obersten Parteigremien haben unterdessen eine eigene Findungskommission in die Spur geschickt, die inner- und außerhalb Berlins fleißig Klinken putzt, offenbar mit bislang mäßigem Erfolg. So sollen unter anderem Berlins Ex-Wirtschaftssenator Stephan Schwarz und Ex-Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach dankend abgelehnt haben.
Auch Ex-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wurde angefragt und soll zunächst abgewunken haben. Ob sein Nein immer noch gilt, ist offen. Am 22. September will die SPD-Spitze den Kandidaten oder die Kandidatin ihrer Wahl für die Wahl präsentieren. „Bis dahin müssen sich alle in Geduld üben“, so Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini.
Allerdings sind die Chancen, dass die SPD auf der Pole-Position ins Rote Rathaus einzieht, derzeit ohnehin nicht groß. Sollte die SPD tatsächlich auf ein neues Bündnis mit Grünen und Linken setzen, wäre sie nach aktuellem Stand der Dinge die kleinste Koalitionspartnerin. In der jüngsten Umfrage liegt die Linke mit 19 Prozent vorn, auf Platz zwei kommen die Grünen mit 15 Prozent. Rot-Grün-Rot wäre also möglich, nur dass das Rot der SPD in diesem Fall das der roten Laterne wäre.
Rätselraten auch bei der Linken
Wie die SPD hat aber auch die Berliner Linke ein K-Problem. Mit welcher Kandidatin oder welchem Kandidaten soll sie an den Haustüren klingeln? Mit der inzwischen in den Bundestag gewechselten Stadtentwicklungsexpertin Katalin Gennburg, die sich in ihrer Zeit im Abgeordnetenhaus einen Namen als SPD-Schreck gemacht hat und schon 2021 für ein Ende des Bündnisses mit Sozis und Grünen trommelte? Oder setzen die Linken gleich auf einen Aktivistenpolitiker wie den ebenfalls in den Bundestag gewählten Neuköllner Ferat Koçak?
Sollte sich die Partei bewusst dafür entscheiden, unabhängig vom Ausgang der Wahl nicht (mit-)regieren zu wollen, wären Gennburg und Koçak sicher geeignet. Mit Rot-Grün-Rot dürfte es dann jedenfalls schwierig bis aussichtslos werden.
Nicht wenige in der Linken hoffen auch deshalb auf eine andere Lösung von außen. Bundeschefin Ines Schwerdtner wäre eine solche, mehr noch die ehemalige Sozialsenatorin Katja Kipping. Beide stehen dem Vernehmen nach aber nicht zur Verfügung. Kipping, heißt es, fühle sich als Geschäftsführerin beim Paritätischen Gesamtverband wohl, Schwerdtner sei mit der massiv gewachsenen Bundespartei bestens ausgelastet.
Elif Eralp als mögliche Spitzenkandidatin
Vieles deutet bei der Linken letztlich darauf hin, dass sie mit der ambitionierten Berliner Abgeordneten und Vize-Landeschefin Elif Eralp ins Rennen gehen könnte. Die Kreuzbergerin gehört dem Landesparlament seit 2021 an und hat sich als migrations- und antidiskriminierungspolitische Sprecherin der Linksfraktion schnell als kämpferische Rednerin profiliert. Anders als mit Gennburg oder Koçak können auch entscheidende Teile der SPD-Fraktion gut mit ihr.
Mit der türkischstämmigen 44-Jährigen könnte die Linke zudem ihr Profil in Sachen Vielfalt schärfen. Erstmals in der Geschichte des Landesverbands würde die Partei mit einer vergleichsweise jungen Frau mit Migrationsgeschichte an der Spitze antreten. Aber auch hier will sich die Parteispitze vorerst nicht festlegen.
„Das Thema Spitzenkandidatur werden wir in unseren Gremien beraten und im Herbst eine Entscheidung treffen“, bügelte jetzt Linke-Landeschefin Kerstin Wolter eine entsprechende Frage nach einer Kandidatin mit Migrationsgeschichte im Interview mit dem Tagesspiegel ab.
So bleibt es dabei, dass sich im Mitte-links-Lager bisher allein die Grünen festgelegt haben. Mit einer etwas komplizierten Lösung: Die beiden Fraktionsvorsitzenden Werner Graf und Bettina Jarasch sollen die Partei zwar gemeinsam in den Wahlkampf führen, bei einem Wahlsieg aber würde nicht Jarasch, sondern Graf ins Rathaus ziehen. Er steht auf Platz eins.
Lieber entschied sich der Landesvorstand für einen linken Mann als für eine realpolitische Frau. Aber auch da gilt: Graf ist nur zweite Wahl. Ein anderer linker Mann, Ex-Finanzsenator Daniel Wesener, hätte wohl die besseren Chancen gehabt. Viele in der Partei, selbst Realos, hätten sich Wesener gewünscht. Doch der hat jüngst die Segel gestrichen. Er will 2026 nicht einmal mehr fürs Abgeordnetenhaus kandidieren.
Bleibt nur die Qual?
Hat Berlin 2026 wirklich eine Wahl? Oder bliebt am Ende nur die Qual? Angesichts der Schwächen bei der Konkurrenz scheint sich CDU-Landeschef und Amtsinhaber Kai Wegner die Hände reiben zu können. Doch vielleicht gibt es mit Wegner auch gar kein Weiter-so. Vielleicht wird das Rote Rathaus bald von Schwarz und Grün regiert? Ausgeschlossen ist das nicht.
Die Sozialdemokraten, die Franziska Giffey und Raed Saleh in die Koalition mit der CDU und damit in die Bedeutungslosigkeit geführt hätten, wären dann raus aus dem Senat – zum ersten Mal seit 36 Jahren. Wenigstens diese Wahl haben die Berlinerinnen und Berliner.
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